Samstag, 14. April 2012

Gedanken zum Grass-Gedicht



Ich hätte mich an unserem Urlaubs-Frühstückstisch beinahe an meinem Kaffee verschluckt, als ich aus dem Radio vernahm, das der Nobelpreisträger Günter Grass ein Gedicht geschrieben hätte, in dem er Israel kritisierte. Da ich zu dieser Zeit leider kein Internet hatte, konnte ich mich nur aus den herkömmlichen Massenmedien informieren, welche wie immer sehr einseitig berichteten. Nicht unerwartet, schossen dann sogleich die Berufsempörten des Mainstreams wie Pilze aus dem Boden. Vom „hochethischen“ Herrn Friedmann bis zum „Berufszerpflücker“ Ranicki meinte jeder seinen Senf abgeben zu müssen. Von Dumm über abscheulich bis zum Antisemiten- und Nazivorwürf war alles dabei. Auch mein „besonderer Freund“ Henryk M. Broder, von einigen auch Dirty Hendryk genannt, geizte mal wieder nicht mit verbalen Entgleisungen, auf die ich hier lieber nicht eingehen möchte. (Das liegt nämlich unter meinem Niveau)

Es waren also die üblichen Verdächtigen, welche Günter Grass unter Beschuss nahmen. Natürlich wurde auch nicht versäumt auf die „Nazivergangenheit“ des Herrn Grass hinzuweisen. Nun wenn man sich 1944 als pubertierender siebzehnjähriger freiwillig zur U-Bootmarine meldet um aus dem Einflussbereich seiner Eltern zu entfliehen, dann kann man wohl kaum von einer besonderen NS Vergangenheit sprechen. Auch dann nicht wenn man dort abgelehnt und gegen seinen Willen einfach als Ladeschütze in ein SS-Flaggregiment gesteckt wurde. Grass war weder in der Partei noch hat er selber auch nur einen einzigen Schuss abgefeuert. Und wer das Lebenswerk von Günter Grass kennt für den sind Nazivorfürfe sowieso einfach nur lächerlich!!! Außerdem musste niemand die Vergangenheit von Herrn Grass ausgraben, das hat er bereits 2006 selbst getan, zu so einem Coming out sind die meisten Menschen sowieso nicht im Stande.

Es war mal wieder das alte Spiel, jemanden der unbequeme Wahrheiten aussprach, nicht auf Grundlage der geschriebenen Fakten zu kritisieren, sondern einfach nur persönlich anzugreifen und zu verleumden. Auf den unbestrittenen Wahrheitsgehalt seines Schriftwerkes ist natürlich keiner eingegangen.
Weil so viel Unfug im Fernsehen über dieses „Gedicht“ gesagt wurde, könnt Ihr es hier im Original lesen und Euch selbst ein Bild machen ob Herr Grass hier abscheuliche Hetze zu Papier gebracht hat:

„Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.“


Also, für mich sieht das so aus, als mache sich hier ein 84 jähriger Luft bevor er es nicht mehr kann. Im Alter haben viele große Menschen ihre Sünden gebeichtet, keiner möchte irgendwann schuldbeladen vor seinen Schöpfer treten….ich übrigens auch nicht! Hier deshalb mal ein weiteres prominentes Beichten-Beispiel.

Woodrow Wilson, jener Präsident der USA, der den Federal Reserve Act einst unterzeichnete, sagte nach seiner Amtszeit:

„Ich bin ein zutiefst unglücklicher Mann. Ich habe unwissentlich mein Land ruiniert. Eine große industrielle Nation wird nun von ihrem Kreditwesen kontrolliert. Daher ist das Wachstum unserer Nation und alle unsere Tätigkeiten in den Händen einiger weniger. Wir sind eine der am schlechtesten regierten, meistkontrollierten und beherrschten Regierungen der zivilisierten Welt. Nicht länger die Regierung einer freien Meinung, nicht länger eine Regierung der Überzeugung oder der Mehrheitsentscheide, sondern eine Regierung der Ansichten und Nötigung einer kleinen Gruppe herrschender Männer.“

Gewundert hat mich allerdings, das Herr Grass sein „Gedicht“, als auch seine spätere Stellungnahme dazu, in der Süddeutschen Zeitung und in anderen „systemnahen“ Zeitungen veröffentlichen konnte. Normalerweise wird so etwas vorher vom Chefredakteur ausgebremst. Entweder ist doch noch nicht jeder Funke des anständigen Journalismus erloschen, oder einige Leute sehen ein bestimmtes Potential in diesem Gedicht von Grass. Ich möchte nicht ausschließen, dass jenes Gedicht jetzt zur Durchsetzung bestimmter Interessen benutzt wird. Die heftigen und absolut lächerlichen Reaktionen Israels auf das Grass-Gedicht (Einreiseverbot, unerwünschte Person usw.) haben mich nämlich auf diese Idee gebracht. Es ist durchaus möglich, dass das Atomwaffenpotential Israels sowie das anderer Staaten unter die Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Agentur gestellt werden sollen und dazu hat die israelische Führung natürlich keine Lust. Was wäre wohl besser geeignet so etwas zu beginnen, als eine, durch einen Nobelpreisträger angestoßene öffentliche Diskussion zu diesem Thema? Das Günter Grass sein Gedicht nur deshalb geschrieben hat, bezweifle ich allerdings, nicht aber das es vielleicht dazu instrumentalisiert werden könnte.

Nachdenkliche Grüße

Euer Micha

Quellen:

Süddeutsche Zeitung - Was gesagt werden muss
Wikipedia - Günter Grass

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Micha,

nichts steht in einer großen Zeitung ohne "Erlaubnis".
Diese Diskussion ist so gewollt. Warum ? Wir werden sehen.
Werde jetzt mal folgendes Werk lesen: http://totoweise.files.wordpress.com/2011/12/douglas-reed-der-streit-um-zion.pdf

Gruß vom
robby

buergerrechtler hat gesagt…

Hi Robby,

alte Säge, schön Dich zu lesen! Ja hast recht, ich vermute auch sowas, wobei Grass nicht unbedingt eingeweiht sein muß...ich meine er ist es nicht. Sei es drum...Augen aufhalten, gegen den Stachel weiter kämpfen und Kopf über Wasser halten.

Gruß Micha

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